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Umgang mit Privatdozenten Die Lehrbefugnis hat ausgedient 20.03.2012 · Der Schutz für die Privatdozenten ist anachronistisch. Aber es ist genauso anachronistisch, Massenuniversitäten einzurichten, die keinen professionalisierten Unterricht garantieren. Von Remigius Bunia Artikel Bilder (2) Lesermeinungen (2) © Felix Schmitt Befugnis oder Ausbeutung? Privatdozenten empfinden ihre Tätigkeit oft nur als Voraussetzung für Späteres, nicht als erreichtes Ziel In der jüngsten Auseinandersetzung um die Privatdozentur lohnt es sich, ein wenig zurückzublicken und zu schauen, woher die Privatdozentur eigentlich kommt. Dabei stellt sich heraus, dass die neuerliche Krise des Privatdozenten eine der universitären Lehre ist. Die überraschende Erkenntnis dabei ist: Auch die Rede von der Lehre ist ein Anachronismus. Es gibt die Lehre nämlich nicht mehr. Die Privatdozentur ist aus den Humboldt’schen Reformen Anfang des 19. Jahrhunderts hervorgegangen und beruht auf zwei funktionalen Erwägungen. Die erste liegt in der klassischen Konkurrenz zwischen Ministerien und Fakultäten um die Hoheit über die Besetzung von Professuren. Selbstergänzungsrechte der Universitäten gibt es seit dem Mittelalter, und immer wieder sind Universitäten zu reinen Familienbetrieben verkommen, immer wieder haben Fürsten und Bischöfe dem Einhalt gebieten wollen. So war es Anfang des 19. Jahrhunderts der preußischen Regierung durchaus bekannt, dass Fakultäten nicht notwendig ein intrinsisches Interesse an hellen Köpfen haben. Umgekehrt wiesen die Universitäten darauf hin, dass doch nicht Ministerialbeamte über wissenschaftliche Qualifikation entscheiden dürften. Der Kompromiss Humboldts war tauglich: Die Universitäten durften mit Hilfe der Habilitation festlegen, wer überhaupt für Professuren geeignet war. Damit sicherten sie ihre Autonomie. Die Ministerien erhielten fortan Vorschlagslisten - schon damals in der Regel mit drei Namen -, unter denen die Ministerien frei entscheiden konnten. Das heißt, die Habilitation war ein Kompromiss, der erlaubte, sowohl die wissenschaftliche Autonomie der Hochschulen zu wahren als auch die ministerielle Kontrolle gegen Inzucht und Mittelmaß zu installieren. Das Recht der Lehre kommt nicht jedem zu Inzwischen ist der Kompromiss obsolet. Ministerien mischen sich nur noch selten direkt in die Personalauswahl der Hochschulen ein. Sie regieren längst subtiler als früher. Man weiß dort nämlich, dass die Vielfalt an Gängelungsmechanismen, mit denen man die Hochschulen seit Jahrzehnten quält, garantiert, dass Universitäten nur Personen berufen, die im Kampf gegen Etatkürzungen aktiv sind, Verantwortung in der Verwaltung übernehmen und den Unterrichtsbetrieb schultern. Die entsprechende Eignung weist man längst nicht im Habilitationsverfahren nach, sondern durch Drittmittelerfolge und langjährige engagierte Mitarbeit in Instituten (auch als Privatdozent). Als Instrument der Universitäten, ihre Autonomie in Personalfragen gegenüber den Ministerien zu wahren, hat die Privatdozentur daher längst ausgedient. © Freie Universität Berlin Remigius Bunia Die zweite Rechtfertigung für die Erfindung der Privatdozentur lag im Wert von „Lehre“. Lehre an Hochschulen war etwas anderes als Unterricht. Die Privatdozentur bildete ein lohnendes Ziel für sich, denn man erhielt durch sie ein Recht, das nicht jedem zukam - und es bis heute nicht tut. Vermutlich weiß heute nur noch eine Minderheit der wissenschaftlichen Beschäftigten, dass Lehre nur Personen mit Lehrbefugnis gestattet ist - also die meisten gar nicht lehren dürfen. Die Lehrbefugnis (venia legendi), die Privatdozenten nach erfolgreicher Habilitation (Feststellung der Lehrbefähigung) separat beantragen können und die Universitäts- wie Juniorprofessoren qua Amt innehaben, ist nämlich das Recht, eine eigene Meinung zu Sachthemen vertreten und ihre Kenntnis in Prüfungen verlangen zu dürfen. Hingegen dürfen Personen ohne Lehrbefugnis, also der klassische universitäre Mittelbau, lediglich unterrichten. Heute empfinden viele Privatdozenten indessen ihre Lehrbefugnis nicht mehr als „Befugnis“, sondern ihre Ausübung als akademische Pflicht und als Ausbeutung, als bloße Voraussetzung für Späteres, nicht als erreichtes Ziel. Wiederholung einer längst eingelösten Forderung Denn die traditionelle Idee der Lehre ist längst ausgehöhlt. An ihre Stelle ist der Unterricht getreten, die Ausbildung, die Vermittlung von Kompetenzen. Die Landtage und Landesministerien haben bei der Einführung der Massenuniversität zu allem Überfluss vergessen, irgendwelche Anreize zu schaffen, die den Einsatz für den Universitätsunterricht honorieren würden; man verlässt sich auf den Idealismus der Beschäftigten. Das große Wort der „Freiheit der Lehre“ wird heute so gedeutet, dass man sich die Inhalte einzelner Unterrichtseinheiten selbst überlegen darf und nicht immer im selben Modul unterrichten muss. Ansonsten existiert das Modell der Lehre schon lange nicht mehr. Wer heute lehrt, lehrt aus Leidenschaft und nicht aufgrund einer Befugnis. Das muss nicht weiter schlimm sein. Dass Professoren das Recht haben, für Widerspruch gegen ihre vielleicht im Einzelfall absurden Auffassungen schlechte Noten zu geben, ist nicht wirklich bewahrenswert. Möglicherweise ist die ganze Idee von der Lehre also antiquiert. Da die Lehrbefugnis eigentlich keine Funktion mehr hat, liegen die Gründe für die Klage der Privatdozenten woanders. Fordert man nun, dass mit dem Erwerb der einschlägigen Erfahrungen in Forschung und Lehre auch ein Beschäftigungsverhältnis einhergehen sollte, wiederholt man bloß eine längst eingelöste Forderung: die nach der Einführung der Juniorprofessur. Und auch bei deren Einführung hat man sich erfolgreich geweigert, kalkulierbare Perspektiven zu schaffen. Beispiellose Selbstdemontage der Universitäten Nun, der Umgang mit den arbeitslosen Privatdozenten grenzt deshalb an Niedertracht, weil diese Privatdozenten wissen, dass ihre Arbeitsleistung von Studenten und den unmittelbaren Kollegen sehr geschätzt wird. Denn vor Ort weiß man, dass es oft die Privatdozenten sind, die engagiert unterrichten und viele Prüfungen sorgfältig abnehmen. Aber außerhalb dieses engen Kreises signalisiert das Hochschulsystem: „Das sind Leute, die noch keinen richtigen Beruf haben, sondern sich bloß qualifizieren.“ In absurder Weise hat nämlich die Universität bei ihrem Ausbau zur Massenuniversität zu leugnen begonnen, dass Wissenschaft ein schlichter Beruf ist. Vielleicht gerade weil der aristokratische und sakrale Kern der Universität längst erodiert ist, man sich dies aber nicht eingestehen will, leugnet man, dass Wissenschaft auch nur ein Job ist. Das drückt sich dann darin aus, dass sämtliche wissenschaftliche Tätigkeiten außerhalb der Professur als Formen der „Qualifizierung“ gelten. Die deutsche Universität signalisiert in einer beispiellosen Selbstdemontage sämtlichen Arbeitgebern der Republik, dass an ihr zu etwa neunzig Prozent nicht qualifiziertes Personal rackert und dass alle, die nicht an der Universität verbleiben, wegen mangelnder Qualifikation in die Wirtschaft geschickt werden. Aber welcher Personalchef in der Wirtschaft soll guten Gewissens jemanden einstellen, dem der vorangehende Arbeitgeber mangelnde Qualifikation bescheinigt? Welches Unternehmen würde damit werben, zu neunzig Prozent Unqualifizierte zu beschäftigen? Es braucht Vertrauen statt unglaubwürdiger Innovationsrhetorik Es wäre an der Zeit, Wissenschaft als Beruf zu entdecken. Wer an der Universität arbeitet, macht einen Job, und er qualifiziert sich für irdisch-profane Beförderungen durch Erfahrung und konkrete Erfolge. Die Aufgaben sind so diversifiziert wie in Unternehmen und Behörden auch. Universitäten sind nur ab und an innovativ; in der Regel treiben sie Massenfertigung. Das alles ist nicht neu; schon seit Jahrhunderten gibt es gelegentlich Innovation aus den Universitäten heraus, gelegentlich außerhalb der Universitäten; und meistens gibt es die Wiederkehr des Immergleichen. Doch braucht man diese Routine, und man benötigt die Tradierung von Wissen und Techniken (nicht zuletzt in Labors). Die Wiederkehr des Immergleichen ist nicht dysfunktional, vor allem wenn man Sorgfalt walten lässt. Weitere Artikel  Debatte um Privatdozenturen: Sortiert den PD früher aus!  Akademischer Alltag: Privatdozenten sind das Uni-Prekariat  Was vom Idealismus übrig blieb: eine Apologie des Privatgelehrten  Professorengehälter: Wer sparen will, spricht von Leistungsentlohnung Natürlich, man findet ständig neue Erkenntnisse (das ist ja der Job), und man passt sich ihnen an. Das tun übrigens viele Unternehmen und Behörden auch. Besser als die ohnehin unglaubwürdige Innovationsrhetorik wäre, Vertrauen in die Professionalisierung der akademischen Arbeit zu wecken. Der Autor lehrt Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

lehrbefugnis_hat_ausgedient.txt · Zuletzt geändert: 2012/03/23 07:25 (Externe Bearbeitung)

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