zum Artikel am Mi 29.2.2012 »Der PD muß früher aussortiert werden« von Volker Rieble
Der Artikel von Herrn Prof. Dr. Volker Rieble »Der PD muß früher aussortiert werden« erstaunt - schon stilistisch aufgrund der Mischung von Meinung, Polemik und Unterstellungen.
Zu Herrn Riebles Behauptungen im Einzelnen:
1. Behauptung: Die Mittelbau-Universität sei Praxis der 1970er Jahre gewesen. Meines Erachtens ist das unzutreffend. In der Tat wurde in den 1970er Jahren eine ausgewogenere Beschäftigung im Mittelbau diskutiert und angestrebt. Realität wurde diese »Mittelbau«-Universität jedoch nur in den neu gegründeten Reform-Universitäten wie etwa der Universität Bremen, wo es eine Weile lang »Assistenz-Professuren« auf Zeit gab. Andere Unis in anderen Bundesländern stellten vermehrt Dozenten auf Dauerstellen (Hamburg) oder mehr niedrig dotierte Professoren (Berlin) ein. In den Berliner Universitäten besonders der FU entstand ein zahlenmäßig großer Mittelbau auf Fünf-Jahres-Stellen, insofern man hier die WiMi-Stellen bereits in 2/3-Stellen umgewandelt hatte. Diese WiMis unterrichteten in Berlin 4-Wochenstunden, betreuten Diplom-Arbeiten, beteiligten sich an den Verwaltungsarbeiten und fuhren zu internationalen Kongressen. Im unbezahlten Drittel ihrer Stelle schrieben sie ihre Promotion. Neuerungen wie die entstehende Frauen- und Umweltforschung erhielt über diese WiMi-Stellen Eingang in die Hochschulen.
Bereits die erste Kohl-Regierung Anfang der 1980er Jahre begann damit, den Mittelbau zugunsten von C-4-Professuren einzuschmelzen und alle Stellen unterhalb der Professur (C-1-Stellen) zu reduzieren. Besonders traf das u.a. die Frauenforschung, die - obschon noch ein zartes Pflänzchen - ihr Haus mit dem Dach zu bauen beginnen mußte. Die Länder setzten diese Politik (wenn auch nicht gerne) nach und nach um. Es war offenbar bereits damals Absicht der Regierung, missliebige Fächer abzuschaffen, wie insbesondere die »unproduktiven« geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer. Ganz besonders betraf das die Soziologie als sozusagen Leitwissenschaft der Studentenbewegung. Mittels Abschaffung der soziologischen Institute als auch mit der Abschaffung des Mittelbaus wollte man diesen Fächern den Garaus machen.
2. Jene Mittelbau-Universitäten, die – ich zitiere: »ihre auf dem Lehrstuhlmarkt erfolglosen Akademischen Absolventen durch Hausberufungen mit Professuren versorgt oder als akademische Räte lebenslang durchfüttert, ganz gleich wie gut oder schlecht sie lehren und forschen« sind mir nicht bekannt. An der Freien Universität Berlin - und soviel ich weiß auch in Bremen oder Hessen - gab es damals keine Hausberufungen, in Berlin kamen Hausberufungen m.W. nur bei den Technikern an der TU vor. Akademische Räte, die ich in Hessen in den frühen 1970er Jahren noch erlebte, waren in Berlin früh Vergangenheit. Hochnäsigkeiten gegenüber den ach so »bedauerswerten« Aka-Räten gab es natürlich schon Wie überall auf der Welt griff die törichte Jugend derartige Vorurteile gerne auf, jeder von uns erinnert wohl derartiges törrichtes »Mitmachen« seiner Jugend. Eventuell wäre diesen Phänomen per Forschung nachzugehen eine schöne Aufgabe für die Organisationssoziologie.
3. Rieble behauptet zudem – ich zitiere - »Davor gab es die `Universitätsdozenten´, die nach der Habilitation regelmäßig verbeamtet wurden«… dieses Phänomen gab es in Berlin, Niedersachsen und Bremen meines Wissens nicht. Ich kann mir auch kaum vorstellen, daß es Derartiges in Bayern oder Baden-Württemberg gegeben haben könnte. Es wäre eine interessante Forschungsaufgabe, dem einmal en detail nachzugehen.
4. Rieble schreibt weiter: »Der Professoren-Stellenmarkt ist begrenzt«. Herrn Rieble scheint nicht bekannt zu sein, daß in den USA Universitäten von der Größe der FU Berlin (mit derzeit um die 32.000 Studierende) wie etwa die University of Maryland die 10-fache Anzahl von Professoren haben. Seit Jahren fehlen den deutschen Universitäten laut Deutschem Hochschulverband 7000 Professorenstellen, resp. 190.000 wenn man eine Relation Lehrende zu Studierenden wie in den USA haben möchte. Der momentane Misere der schlechten Betreuungsverhältnisse an den deutschen Universitäten kann man kurzfristig nur begegnen, indem man alle PDs und alle Emeriti, die Willens und in der Lage sind, zu lehren, als Lehrkräfte und Betreuer für Abschlußarbeiten und besonders auch Promotionen einbindet.
5. Zwar ist es wohl auch sein, daß manche Fakultäten zeitweilig relativ »zu viele« Habilitierende »produzieren«. Aber das hat – um in der Diktion zu bleiben - vor allem mit den »Schweinezyklen« der Lehrer- wie sonstigen Akademiker-Märkte zu tun. Die Kohorte, die man Anfang der 1990er Jahre etwa mit »Möllemann-Zwo«-Programmen versuchte, doch noch zum Habilitieren zu bewegen, fiel, kaum war sie mit ihrem zweiten Meisterstück fertig, Sparprogrammen sowie von einer neuen Regierung »Verschrottung des Mittelbaus« anheim. In Gesellschaften mit vergleichsweise hoher Akademiker-Erwerbslosigkeiten werden immer ein Teil von ihnen versuchen, via Promotion oder auch Habilitation ihrem Leben einen Sinn zu verleihen. Haben die Betroffenen sich damit etwa schlecht entschieden? Ganz im Gegenteil, sie schufen sich eine sinnvolle Beschäftigung und werden anschließend zweifelsohne zu 80% notfalls unbezahlt ehrenamtlich tätig sein. Diese Erwerbslosigkeit traf nach der Dollarkrise ab 1973 alle Länder, die BRD nach der Anheirat der DDR in doppelter Weise und die Berliner durch das politisch gezielte drastisch-kurzfristige Wegkürzen der Berlin-Subventionen in den frühen 1990ern.
6. Tatsache ist, daß kein ein Staat prozentual dermaßen wenige Professuren hat wie die Bundesrepublik Deutschland. Tatsache ist zudem, daß in den Nachbarländern, die das Institut der Habilitation ebenfalls kennen, den Habilitierten anschließend eine Art universitäre Grundsicherung gewährt wird, so in Österreich, Polen und auch der Schweiz. Tatsache ist zudem, daß die Gewährsländer USA oder England immerhin den »Freischaffenden« unter den Lehrenden an den Universitäten Anstellungen ermöglichen, wenn erstere es wünschen, und sie nicht als »zu alt« ausschließen. Während es demgegenüber hierzulande allenfalls die Gastprofessur gibt, mit der sich einige der Höchstqualifizierten durchs Leben hangeln können.
7. Der »haushaltswirksame Rechtsanspruch« auf eine Art (minimaler) Grundsicherung ist in den Nachbarländern Österreich, Polen, Schweiz gegeben. Diese Grundsicherung dort ist gering genug, um einem frisch Habilitierten genügend Anreize zu geben, sich an einer anderen Hochschule zu bewerben.
8. Zum Schluß schlägt der Autor versöhnlich vor, den Privatdozenten ihre Titellehre mit 2000,- € pro Veranstaltung zu vergüten. Damit würde die Arbeit und das Engagement anerkannt. Tatsächlich hat die Initiative Berliner Privatdozenten kürzlich eine Aufstockung des Honorars für die Titellehre auf 6000,- verlangt. Nachdem sie früher ähnlich wie Stefan Laube mit Ulrich Dieckmanns Untersuchungen zu einer Summe um die 10.000 Euro gekommen war. M.E. haben Staaten wie die Universitäten Verpflichtungen. Wenn etwa das Bundesland Berlin nach 1995 die Hälfte der vorhandenen Professuren »kassierte«, ist es m.E. gesellschaftlich verpflichtet, zumindest eine Art Ersatz in der Form zu schaffen, die den Privatdozenten das Überleben als freie Künstler gestattet. Wie wäre es mit einer Art Grundsicherungsgehalt in der Höhe eines Promotionsstipendiums nach österreichischem Modell? Man könnte freischaffende PDs auch als Honorarkräfte wie an der Oper für eine oder etwa drei Spielzeiten engagieren, aber eben doch bitte nicht unentgeltlich.
Der schöne Artikel von Sibylle Anderl in der FAZ vom 22.2.2012 »Junger Forscher, was macht die Kunst?« über die Nähe zwischen freien Künstlertum und Wissenschaftlerinnenlaufbahn macht das sehr schön klar. Ist es nicht auch ein netter Scherz der Geschichte, daß viele der »aussortierten« und »weg gesparten« Dozenten als freischaffende Autoren und zwischenzeitliche Volkshochschuldozenten milde Aufnahme in der Künstlersozialkasse finden?
Ist nicht der Künstler, die freie Autorin das Priestertum der Moderne? Hier fehlte nur noch der Vergleich mit der Mönchskaste, die sich etwa die buddhistischen Gesellschaften noch heute leisten und den eben auch eine reiche Luxus-Gesellschaft sich noch leisten können muß. Dazu gehört aber auch die generelle Bescheidenheit unter den Wissenschaftlern. »Universitäre Spitzenkräfte«, die man mit Managergehältern ködern muß, verderben meiner Meinung nach den Geist der Universitäten.
Ich fürchte, solange auch nur ein kleiner Teil der besoldeten Hochschullehrerschaft nicht versteht, daß eine (un)heimliche Allianz von externen »Beratern«, Bürokratie und überforderten Politikern seit bald 30 Jahren die Universitäten unwillentlich zerstört, wovon das Elend der Privatdozenten / Lehrbeauftragten nur ein kleiner Ausdruck ist, sind die deutschen Universitäten, die einmal die besten der Welt gewesen sein sollen, kaum zu retten.
Diesem Phänomen per Forschung nachzugehen, könnte eine schöne Aufgabe für die Organisationssoziologie sein oder welcher anderen Soziologie, Politologie, Ethnologie etc. auch immer.
Elisabeth Meyer-Renschhausen, Berlin