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Initiative Berliner Privatdozenten Berlin, 30. Oktober 2012 PD Dr. hab. Norbert Kapferer, PD Dr. Elisabeth Meyer-Renschhausen PD Dr. Robert Schmitt Scheubel, PD Dr. Ulrike Stamm Bülowstr. 74 10783 Berlin 030 261 2287 www.privdoz.de

An den Vorsitzenden des Petitionsausschusses des Abgeordnetenhauses von Berlin Herrn Andreas Kugler 10111 Berlin-Mitte

Sehr geehrter Herr Kugler,

Hiermit möchten wir uns für Ihren ausführlichen Brief vom 13.9.2012 bedanken. Leider ist er inhaltlich nur bedingt zutreffend. Zum einen ist es so, dass die von Ihnen angeführte Bezahlung von 76,69 Euro je Semesterwochenstunde bedeutet, dass die Privatdozenten eine Pauschale von 150 Euro pro Jahr erhalten, was nicht einmal ausreicht, um die mit der Titellehre verbundenen Ausgaben zu decken. Das ist selbst für eine »Durchgangsstation«, die ja auch irgendwie finanziert sein will, doch eigentlich ein Hohn. Zudem suggeriert Ihre Formulierung »von derzeit 76,69 Euro« daß Ihnen unbekannt ist, daß diese Summe seit 1973 unverändert gilt, wie es auch aus der »Kleinen Anfrage« des Abgeordneten Dr. Michael Arndt (SPD) vom 24. Januar 2007 ersichtlich ist. Insofern kann von einer »erheblichen Erhöhung« nicht die Rede sein. Ist die Unterrichtsgeldpauschale dafür gedacht, Auslagen wie Büromaterial, Fahrtkosten, Computer etc. pp. zu ersetzen, so ist ohne großen Nachweis ersichtlich, daß die Preise hierfür in den letzten vierzig Jahren sind vervielfacht haben, so daß schon aus dem Grund eine Erhöhung zwingend notwendig ist.

Ihr Brief verdeckt unter Rekurs auf juristische Zusammenhänge, dass es ungerecht ist, die Privatdozenten zu verpflichten, letztlich unentgeltlich zu lehren. Man kann unmöglich die schlechte finanziellen Ausstattung der Universitäten allein den Privatdozenten aufbürden.

Es ist außerdem nicht zutreffend, daß die Universitäten keinen Einfluss auf die Zahl der Habilitierten hätten. In vielen Fachbereichen und Universitäten achtete man lange Zeit darauf, dass es nicht allzu viele Habilitationen gab. Die Universitäten und Fachbereiche hatten oder haben höchstens insofern keinen Einfluss darauf, wie viele sich habilitieren, da die Bundespolitik angesichts der bereits seit Mitte der 1980er Jahre zunehmenden Akademikerarbeitslosigkeit immer einmal wieder gewisse Gruppen von Betroffenen durch zusätzliche Habilitationsstipendien »still zu halten« suchte. In den 1990er Jahren wurden z.B. die Frauen unter den jüngeren Wissenschaftlern mit zusätzlichen Bundeshabilitations-Stipendien (»Möllemann II«) dazu angehalten, sich zu habilitieren. Man ging davon aus, daß angesichts der demnächst anstehenden Pensionierungswelle unter der in den 1970er Jahren neu angestellten Hochschullehrerschaft, endlich die Frauen zu ihrem Recht kommen könnten. Später versuchte man, »Ost-Wissenschaftlern« ähnlichen Trost zu kommen zu lassen. Insofern baden die Privatdozenten hier auch die Folgen einer falschen Politik aus.

Mit gar keinem Wort sind Sie darauf eingegangen, daß die Unis nach dem BerlHG, »Lecturer« einstellen sollen, aber nicht wollen. Wir halten es für richtig, daß die Universitäten darauf beharren: keine Lehre ohne Forschung. Eine Art »neuer Personalkategorie«, die Dozenten zu Schullehrern degradieren möchte, ist von den Universitäten deswegen zurecht abgelehnt worden. (Sie würde im Übrigen nicht nur die Habilitation, sondern auch die Promotion überflüssig machen, dem einzigen was den Unis als »Sonderstellungsmerkmal« gewissermaßen geblieben ist.)

Die derzeitige Praxis in Berlin, diese Gelder in Tutorenstellen umzuwidmen, halten wir jedoch ebenfalls für den Versuch den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Tutoren und Tutorinnen können nicht selbständig unterrichten. Die Aufgabe von Tutoren ist es, den von einem Professor bzw. einer Professorin vermittelten Stoff zu wiederholen bzw. Übungen durchzuführen, sie sollten als Tutoren jedoch, wie bereits erwähnt, nicht selbständig Stoff vermitteln. Es wäre daher nach unserer Auffassung sinnvoll, diese Gelder freizugeben, um den Universitäten die Möglichkeit zu geben, Kurzzeit-(Gast-)professuren für PD und auch Seniorprofessuren finanzieren zu können.

Gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. 6. 1994 ist schließlich einzuwenden, dass sich die Lage seither deutlich verändert hat: So sind seither die Hochschullehrerpositionen, zumal in den sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächern, zur Hälfte den Naturwissenschaften resp. den »Exzellenz-Initiativen« geopfert worden, wodurch sich die Aussichten für Privatdozenten, noch eine Professur zu erhalten, in unverhältnismäßig kurzer Zeit drastisch verschlechtert haben. Insofern stimmt, was Sie zum Gesetzeswerk, rings um die Privatdozentur schreiben, nicht mehr. Vielmehr sollten Sie, resp. die Politik und Parlament sowie die Universitäten anerkennen, dass sie schon längst eine neue Klasse freischaffender Wissenschaftler geschaffen worden ist, auf deren Lehrleistungen die deutschen Universitäten heute zu ca. 40% beruhen.

Mit freundlichen Grüßen

i. A. Elisabeth Meyer-Renschhausen

Weiteres entnehmen Sie bitte auch unseren Schriften:

Elisabeth Meyer-Renschhausen, Privatdozentinnen zur Verschrottung freigegeben? - von der allmählichen Wiederherstellung eines akademischen Proletariats, in: „Ästhetik und Kommunikation“, Heft 128, 36.Jg, Frühjahr 2005, S. 111-119

dies., Zur Kritik der europäischen Hochschulpolitik, Hrsg. von - zusammen mit Paul Kellermann, Manfred Boni, Wiesbaden: VS-Verlag, 2009

dies., Low Budget Academics - Freischaffende Akademikerinnen unsichtbar, in: Gegenworte - Zeitschrift der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 14. Jg. Herbst 2004, 64-87

dies., Von der Austreibung des Geistes aus den Universitäten. Sparkurs und Konkurrenzdruck, Verschulung und Aussieben der Frauen, in: Kommune - Forum 22. Jg. 2004, Heft 4, 26-31

dies., „Verschrottung des Mittelbaus“ - Vom Umgang mit den Privatdozenten als Symptom neuer Intellektuellenfeindschaft, in: Torsten Bultmann, Hrsg., Prekarisierung der Wissenschaft, Berlin: Karl Dietz Verlag 2008, 41-52

dies., Von Engagement und Routine - Zur Frauenfrage in den deutschen Wissenschaften, in: Gegenworte - Zeitschrift der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 6. Heft Herbst 2000, 49-53

Sabine Berghahn, 2009: Ausschluss der Elite. Hochschulreform als Exklusion erarbeiteter Kompetenz? In: Paul Kellermann, Manfred Boni, Elisabeth Meyer-Renschhausen (Hrsg.): Zur Kritik europäischer Hochschulpolitik. Forschung und Lehre unter Kuratel betriebswirtschaftlicher Denkmuster. VS Verlag, Wiesbaden, S. 189-204.

Berghahn, Sabine (2002) »Hochschulreform als Ressourcenverschwendung und Kampf der Generationen?«, Feminia Politica – Zeitschrift für feministische Wissenschaft, Jg. 11, H. 1, S. 105–113.

Sabine Berghahn, 2003: Der Ritt auf der Schnecke. Rechtliche Gleichstellung in der Bundesrepublik Deutsch-land. Veröffentlicht unter: http://www.gender-politik-online.de. (In gekürzter Version: 2004, in: Mechthild Koreuber/Ute Mager (Hg.): Recht und Geschlecht. Zwischen Gleichberechti-gung, Gleichstellung und Differenz. Nomos Verlag, Baden-Baden, S. 59-78.

Sabine Berghahn 2003: Frauen im Recht der Erwerbstätigkeit. Sowie: Frauen als Selbstän­dige – ausgewählte Aspekte. In: Ministerium für Gesundheit, soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen (gemeinsam mit den kommunalen Gleichstellungsbeauftragten und der AG der kommunalen Spitzenverbände NRW) Hg.: Frauen und Recht. Düsseldorf. S. 151-206, 207-212. (Im Internet unter: http://www.mfjfg.nrw.de/frauen/index.htm.

Blomert, Reinhard (2001), »Zwischen Humboldt und Coca Cola«, Die Zeit, Nr. 33.

Blomert, Reinhard (2005), »Effizienz ist das Ende der Universität«, Die Tageszeitung, 27. Juli 2005.

Volker von Prittwitz, Der Betteldozent - Über den Skandal entgeltloser Lehre und Prüfungen an Universitäten in: http://agiw.fak1.tu-berlin.de/Cricetus/SOzuC3/Archiv2/Prittw2.htm

Außerdem vielfach in den Medien. U.a.:

»Das tägliche Brot des Privatdozenten – Forscher und Lehrer in der Niedriglohn-Gruppe«, DUZ das unabhängige Universitätsmagazin, 27. Mai 2005, S. 9–16

http://agiw.fak1.tu-berlin.de/Cricetus/SOzuC3/Archiv2/Prittw2.htm

www.privdoz.de

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